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Aus: "Die totale Verkommenheit und andere Miniaturen des täglichen Defekts" mehr Info/Kaufen

Bis zum Anschlag

 

Es ist heiß. Und völlig still.

Der Wagens steht. Ich sitze.
Das Fenster fließt in dünnen Streifen die Tür herunter und verbrennt meinen Arm.
Am Horizont stehen drei erstarrte Atompilze, wie bleiche Schlösser ferner Hoffnung, wunderbar im goldenen Licht des Untergangs. Sonne.
Versunken. Im zerissenen, schwarzen Asphalt unter mir. Zusammengesackt hinter dem Lenkrad. Die Schwere meinens Körpers lastet auf Kupplung und Gas. Der Motor kreischt in höchster Drehzahl, die Zahnräder des Getriebes sind nicht eingehakt.
Ich spühre wie die Zähne rotieren.
Durchdrehen.
Wie ausgeschlagene Gespräche.
Über mich.
Langsam fließt mir die Ruhe in die Augen.
Und brennt.
Wie das weiße, sandige Gras um mich herum. Wie die leere Kreuzung vor mir. Wie die grauen Bürgersteige. Bis zum Horizont. In alle Richtungen. Jeglicher Gedanke. Leer.
Ich fühle mich wie ausgestoßen. Nicht wie absichtlich. Eher wie unvermeidlich. Verlassen.
Du wolltest mit mir diese Welt vernichten. Jedes verdammte fühlende Wesen in diesem Universum auslöschen. Nur wir alleine wären zurückgeblieben. Endlich Friede. Hast du gesagt.
Mir auch recht, für deinen geilen Arsch hätte ich alles getan. Auch das.
Brücken verbrennen, Talsperren öffnen, Grundwasser vergiften, Krankheiten verbreiten, Ordnungen verdrehen, Regierungen foltern, Menschheiten abschaffen, Tankstellen überfallen. Nur um dir dabei zuzusehen, wie du tötest. Du bist so verdammt sexy, wenn du hasst. Ein Grund, so gut wie jeder andere.
Und irgendwie hattest du ja recht.
Wir befüllten meinen Wagen mit hochnervösem Napalm und kompromislosen Aufschlagszündern. Eine rollende Bombe mit Kühlbox, mit heiliger Mission, mit zwei ineinander verklebten Engeln auf dem stürzenden Grund der göttlichen Ausrottung.
Dann sind wir lange Stunden an ihnen vorbeigefahren. Erst rasend schnell. An den Idioten, den Versagern, den Feiglingen, den Hässlichen, den Verlierern, den Selbstschuldigen, den Toten.
Was für ein Leben. Was für ein wilder Ritt. Dein Lachen spritze wie das Bier aus den eisgekühlten Flaschen und durchnäste meinen Arsch. Ich kotzte in den Fußraum, du hast die bleichen Prachtbacken deines Arschs aus dem Fenster geflasht, wir schmissen die leeren Flaschen in den Gegenverkehr und lauschten dem leisen Knacken ihrer Schädeldächer auf unserer summenden Motorhaube.
Dann kam das Schritttempo. Wir waren erschöpft. Deine Haare klebten dir im Gesicht. So fucking wild. Ein Geräusch wie auf Felgen kam aus deinem erstaunten Mund.
Die Ziele draußen wurden eindringlicher. Aufdringlicher. Vorbei an Einkaufs-, Ausreise-, Anlauf-, Ausschuss- und Entscheidungszentren, Leichenhallen, Abfallgruben, Fluchtbunkern, Progromstadien, Endstationen. Einstieg hinten.
In Zeitlupe. Durch Straßen voller Eigentum. Voller versicherter Ablehnung. Durch die Gänge der Ratten. Die Vorgärten der Bosse. Die Ärsche der Gefickten. Die Fressen der Eingeschlagenen. Die Leiber der Fettigen. Über die Nacken der Gebrochenen. Über offene Rückgradbrüche, durch geschlossene Anstalten und über ausverkauften Willen.
Schließlich und endlich verliess uns der letze Funke an Kraft, Wille und Leidenschaft. An dieser Kreuzung im Nirgendwo. Angekommen in der Wüste der Nutzlosigkeiten. Mit laufendem Motor.
Du nahmst meinen Kopf in deine Hände, gabst mir einen langen Kuss und sagtest: „ Sie alle wissen es. Alle wissen, dass etwas nicht mehr stimmt. Dass etwas in Gang geraten ist. Etwas, dass sich nur durch totale Vernichtung wieder stoppen lässt.“ Eine kristallklare Träne verließ dein Auge und zauberte einen weißen Pfad durch die verlaufene Schminke. „Sie wären uns dankbar, wenn wir sie auslöschen“.
Dein Abschiedskuss tropfte von meinen Lippen, während du ausstiegst und im weißen Licht dort draußen untertauchten wolltest.
Du musst einsehen, dass du nicht so davon kommen konntest. Napalm brennt so lange, bis es am Ende angekommen ist. Immer. Es war naiv von dir, zu glauben, es löschen zu können.
Ich sehe das Blaulicht im Rückspiegel. Ich sehe das Gesicht des Spinners, der im dichten, gelben Smogregen des allabendlichen Feierabendstaus die zwanzigste Grünphase der Ampel ignoriert hat. Angehalten. Den Gang rausgenommen.
Sie würden mir Fragen stellen. Warum ich nicht weitermache. Warum Blut aus meinem Auspuff tropft. Sie werden das Napalm in meinem Tank finden. Dich. Im Kofferraum.
Ich werde lügen. Wie immer. Mitspielen.    
„Na dann fahrn se mal weiter und denken se snächste mal dran“.
„Mach ich, Herr Wachtmeister. Sieg heil“.
Ich war schon fast raus aus der Nummer.
Aber wie es so läuft. Weiss man nie vorher. Nachher auch nicht. Dummheit halt. Schuld haben immer die anderen.
Der Bulle zieht seine Waffe und mein Kopf sackt endgültig aufs Lenkrad und schickt ein endloses, nicht verkehrsgerechtes Hupen durch meinen Kopf. Projektiler Tinitus. Ich bin betrogen worden...

©jenz dieckmann / Oktober 2015