Aus: "Die totale Verkommenheit und andere Miniaturen des täglichen Defekts" mehr Info/Kaufen
„Schreib doch mal was Schönes.“
Sie sagte das seltsam unbeteiligt.
So, als wenn es nur ein gut gemeinter, unverbindlicher Tipp gewesen wäre. Etwas, von dem man sich jederzeit wieder hätte distanzieren können.
Wenn man müsste.
So, als wenn es so nahe liegend wäre, dass es mir hätte schon lange selbst auffallen müssen.
So einfach, dann wäre alles gut, und sie müsste dann auch nicht immer diese „deprimierenden Sachen“ von mir lesen.
Sie sagte, dass sie mich liebt.
Aber Korrekturlesen hat wohl auch seine Grenzen.
Also setzte ich mich hin und suchte nach den Eingängen.
In die Welt des Schönen.
Oder sollte ich lieber zuerst Ausgänge suchen?
Aus meiner Welt?
In welche Richtung sollte ich gehen?
Dahin, wo sich die nachtmüde Horizonthaut an der kettenreaktionierter Erneuerung eines aufsteigenden brennenden Planeten auslässt?
Oder hinein in das übervoll mit goldener Melancholie erbrochene Tal eines friedlich versinkenden Tages voller Glück?
Ich war mir nicht sicher.
Wo genau ich suchen sollte.
Unter der hauchdünnen warmen Porzellanhaut auf der Unterseite der Brüste unerfahrener junger Mädchen? Oder zwischen den kalten Falten einer versickernden Erkenntnis
sterbender alter Männer? Schönheit zwischen unbeschriebener Vollkommenheit und verbauchter Einsicht?!
Gut, ich hätte dich fragen können.
Wie du das gemeint hast.
Aber ... du bist immer sehr beschäftigt.
Deinem Weg zu folgen, so wie er sich einzwingt.
So nah liegend.
So, wie das verträumte Versinken, in dem knisternden Äther deines Atems. Lauter als mein eigener.
Oder doch so weit weg, wie das fremde Bad in dem vollkommenen Klang einer fernen, einsamen Glocke jenseits aller Wüsten der Undurchquerbarkeit?
Das, was immer da ist, auch wenn ich nicht hingucke.
In erhabener Schönheit des maximal möglichen Verzweifelns?
Ich dachte an die magischen Momente mir dir.
An das unvorbereitete Kreischen jeglicher Münder.
Jeglicher Fetzen Haut. In deinem stillen Nacken.
Vom Aussetzen der leidvollen Matrix unserer Vorstellung.
Vom Glück des Lebens. Vollkommen und gigantisch.
Kurz.
Wie in der leeren See des Willens schwimmend dem Wimpernschlag des völligen Jetzt lauschend.
Oder doch den vergangenen Steckschüssen aus verdautem Magen und leerem Morgen lauschen?
Wie kann ich wissen, welch schöner Moment nicht schon in der Vergangenheit zerfiel, bevor die Zukunft mir ein Reihenhaus drauf gebaut hat?
Eine Gummizelle ohne Einsicht.
Dieses Jetzt.
Eine atemausraubende Schönheit ohne Halt.
Aber einen letzten Versuch mache ich noch.
Nur um dir zu gefallen.
Wenn sich die Schönheit nicht im Hier und Jetzt finden lässt, warum nicht auch im Dort und Dann suchen? Dem Ort fort jeglicher Tiefe? Aufgetürmt in der Gier,
erniedrigt in der Sucht. Dem Überlassen der Handlung an alles andere. Nur nicht ich.
Die Schönheit der Maßlosigkeit?
Wollen heißt Leiden.
Schöne Scheiße.
Ich befürchte, ich muss aufgeben.
Ich werde einen günstigen Zeitpunkt abwarten.
Wenn du schläfst. Oder so.
Dann werde ich zu dir hingehen und gestehen,
dass ich nichts Schönes finden kann.
An diesem Leben.
Ansonsten könnte ich das hier nicht schreiben.
Und wenn du aufwachst,
wirst du mich dann trotzdem noch lieben?